Asymmetrisch tonischer Nackenreflex (ATNR)
Dieser wird ausgelöst, wenn der Kopf zur Seite gedreht wird. Dann strecken sich Arm und Bein auf der gleichen Seite. Auf der anderen Seite beugen sich Arm und Bein. Der Reflex wird auch «Fechterhaltung» genannt und entsteht im Mutterleib etwa zu der Zeit, in der die Mutter zum ersten Mal die Bewegungen des Kindes spürt.
Der ATNR unterstützt zusammen mit anderen Reflexen den Geburtsvorgang. Er hilft dem Kind durch eine Reihe von Drehungen sich an das mütterliche Becken anzupassen, sodass es in einer Spiralbewegung den Geburtskanal hinunter wandert. Bei einem normalen Geburtsvorgang wird der ATNR maximal stimuliert. Er erfährt seinen Höhepunkt, wenn sich beim Geburtsprozess der Kopf dreht, damit die Hebamme das Baby herausholen kann. Kommt es zu Abweichungen vom natürlichen Geburtsprozess (z.B. Kaiserschnitt), kann dies die spätere Integrierung erschweren.
Im späteren Verlauf dient er dem Säugling als erste Hand-Augen-Koordination. Wendet das Baby sich einem seitlichen Stimulus (z.B. einer Rassel) zu, so streckt sich der Arm in Blickrichtung. Das Baby kann seine Hände jedoch erst dann mühelos über seine Körpermitte und darüber hinausführen, wenn der ATNR gehemmt worden ist. Auch erst dann können die Augen unabhängig von der Kopfdrehung gesteuert werden und bewegliche Gegenstände fixiert werden.
Wenn Kinder sich nicht zum richtigen Zeitpunkt vom Rücken auf den Bauch drehen oder wenn das Kriechen merkwürdig aussieht oder gar nicht stattfindet, kann ein ATNR dafür verantwortlich sein, da Beugung und Streckung der Gliedmassen immer noch von der Kopfbewegung und -haltung beeinflusst werden und damit alle Überkreuzbewegungen erschwert sind.
Besonders deutlich kann man Reste eines ATNR bei Kindern beobachten, wenn sie in die Schule kommen und Lesen und Schreiben lernen sollen. Sie können oft nicht die Linie einhalten, der linke Rand rutscht immer weiter nach rechts, der Stift wird merkwürdig gehalten, das Kind drückt zu stark auf, macht viele Fehler beim Abschreiben, das Kind mag das Schreiben nicht und vermeidet es oft.
Auch das Lesen kann dadurch beeinträchtigt werden. Eng verknüpft mit dem ATNR ist die horizontale Augenbewegung. Eine gleichmässige, geschmeidige Augenfolgebewegung ist bei Restreaktionen des ATNR oft nicht möglich, sondern es sind häufig Sprünge zu beobachten. Das Bild verschwimmt oder springt vor und zurück. Die Sprünge führen zum Vertauschen und Auslassen von Buchstaben. Dies erschwert das Lesen und Schreiben sehr.
Mühelose Augenfolgebewegungen bilden die Voraussetzung dafür, dass das Lesen- und Schreibenlernen gelingen kann.
Häufig ist der persistierende ATNR auf einer Seite dominanter, daher ergeben sich oft unterschiedliche Tonusverhältnisse auf beiden Seiten. Dieses begünstigt wiederum Körperfehlstellungen wie z.B. Schulterhochstand oder Beckenschiefstand. Hat das Kind Schwierigkeiten beim Drehen des Kopfes nach rechts und links, so kann sich dieses auch auf die Hörverarbeitung auswirken. Der ATNR behindert die Lateralitätsfindung und oftmals zeigen sich gemischte Dominanzen.
Diese Folgen können, müssen aber nicht zwingend auffällig erscheinen:
- Schwierigkeiten bei der visuellen und/oder auditiven Verarbeitung
- Verkrampfte Stifthaltung, schlechte Handschrift
- Schräghaltung des Arbeitsblattes oder des Kopfes beim Schreiben als Kompensation
- Diskrepanz zwischen schriftlichen und mündlichen Leistungen
- Schlechte Hand-Augen-Koordination
- Probleme beim Einhalten von Zeilen beim Lesen oder Schreiben (Augensprünge)
- Einzelne Buchstaben, Satzzeichen oder sogar ganze Wörter werden überlesen
- Gleichgewichtsprobleme bei Kopfdrehung zur Seite (z.B. Handzeichen beim Velofahren)
- Kreuzmusterbewegungen (Kriechen, Krabbeln) sind erschwert bis unmöglich
- Wechselnde oder Kreuz-Lateralität bei Kindern ab 8 Jahren
- Probleme bei Rechtschreibung und Grammatik
- Schwierigkeiten mit dem binokularen Sehen
Der wichtigste Reflex, welcher bei Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) relevant ist!